Medienkunst beim Stuttgarter Filmwinter: Manipulierte Spieler und nützliche Idioten

stuttgarter-nachrichten.de von Bernd Haasis, 

16.01.2020

„….Absurde Erinnerungslücken

Was vom NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages bleibt, zeigt Katharina Kohl in „Erinnerungslücken/Innere Sicherheit“: Sie ist den Aktenberg durchgegangen und hat alles geschwärzt bis auf die Stellen, an denen sich Befragte nicht erinnern können – was auf jeder der über einen Monitor laufenden Seiten mindestens einmal der Fall ist. „Am besten gefällt mir die Formulierung , Das ist mir nicht erinnerlich‘“, sagt Kohl, die zur Ausstellungseröffnung nach Stuttgart gekommen ist. Einzelne Sätze des Vergessens hat sie hörspielartig einsprechen lassen, über dem Monitor zieht eine projizierte Prozession angeketteter Aktenordner vorbei. „

Im Labyrinth der NSU-Morde

Süddeutsche Zeitung, 26.9.2019, von Olaf Przybilla

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„… Vielleicht beginnt man die Ausstellung „Das Labyrinth“ im Nürnberger Kunsthaus im letzten Zimmer dieser Schau zum NSU-Komplex. Zur Rechten steht dort ein Fernseher mit Sitzbank, zu verfolgen ist ein Ausschnitt aus dem Film „Das Protokoll des zweiten Jahres. Der ganze Film“. Dieser basiert auf den Aufzeichnungen, die der Bayerische Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung vom NSU-Prozess angefertigt haben. Von Schauspielern nachgesprochen werden Befragungen durch den Richter Manfred Götzl. Das deutsche Rechtssystem sieht Aufnahmen von Gerichtsverfahren bekanntlich nicht vor. So nahe wie in diesem Video wird man diesem historischen Prozess sonst folglich nicht kommen können. Es sei denn, man wäre Augenzeuge gewesen.
Das Ausstellungszimmer ist zweigeteilt, rechts der Bildschirm mit der Götzl-Befragung, links eine Arbeit von Katharina Kohl. Sie hat 40 Personen gemalt, die mit dem NSU-Komplex auf staatlicher Seite zu tun hatten. Die sogenannten Sicherheitsbehörden also: Staatsanwälte und Staatssekretäre, Polizeibeamte und Ministerialbeamte, V-Mann-Führer. Diese Porträts werden flankiert von einer Serie kopierter Dokumente, auf denen man zunächst wenig zu sehen scheint. Ein schmaler Vermerk an der oberen Seite der Blätter klärt auf, dass es sich um Protokollseiten aus einem NSU-Untersuchungsausschuss handelt.
Diese Blätter sind fast vollständig geschwärzt, einer Anklageschrift gleich, bei der das Wichtigste dem Auge des Betrachters verborgen bleiben muss. Lediglich an einzelnen Stellen sind in die allumfassende Schwärzung Lücken gerissen. Dort erfährt man, was im Ausschuss gesagt wurde. Zum Beispiel „Nein, soweit ich weiß, wussten wir nichts.“ Oder auch: „Nach meiner Erinnerung kann ich mich wohl nicht mehr konkret erinnern.“ So elegant, so subtil und doch scharf kann man als Künstlerin Klage erheben. Hier treffen 40 Porträts auf 40 Gedächtnislücken. Personifizierte Gedächtnislücken sozusagen. …“