Über das Projekt

Personal-Befragung / Innere Sicherheit

Die Umstände im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex* eröffnen die Chance, in den sonst abgeschirmten Bereich der Inneren Sicherheit Einblick zu nehmen. Durch die parlamentarische und juristische Aufarbeitung werden die einzelnen Protagonisten zu Personen des öffentlichen Interesses.

Das Versagen, das im Laufe der Aufarbeitung offenbar wurde, ist einerseits strukturell bedingt. Aber auch wenn die Strukturen der ‚Sicherheits-Architektur‘ politisch entschieden werden, die Umsetzung dieser Strukturen findet im ‚Normalbetrieb‘ in den Ämtern und Dienststellen statt. Dort wird gewirkt und gestaltet:
Es sind die Staatsanwälte, Staatssekretäre, Ministerialräte, Polizei-Kommissare, Mitarbeiter und Präsidenten der Verfassungsschutzämter, die im Einzelfall für die Innere Sicherheit dieses Landes verantwortlich sind. Das legt einen Blick in deren Amtsstuben nahe.

Der künstlerische Prozess

Alle für die Personalbefragungen** ausgewählten Personen waren unmittelbar mit dem NSU-Komplex befasst. Manche stehen stellvertretend für staatliches Versagen, andere für erlittene Behinderung bei ihrer Ermittlungsarbeit. Die meisten von ihnen wurden als Zeugen in einem der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse geladen. Durch das Malen ihrer Porträts versuche ich, mehr über sie zu erfahren. Als Vorlage dienen mir dabei Video-Aufzeichnungen und manchmal auch reale Begegnungen.

Unterschiede in der malerischen Behandlung der jeweiligen Portraits ergeben sich aus dem malerischen Vorgehen: Der Malprozess wird beendet, sobald eine Haltung identifiziert ist. Manche Bilder sind daher nur schemenhaft, andere kommen in Bereiche fotografischer Ähnlichkeit. Es sind in diesem Sinne keine ‚individuellen Portraits‘, sondern sie erschließen sich erst im Zusammenhang mit der gesamten Serie.

Das Erforschen der Gesichter erfordert ein beständiges Zurückweisen eigener Vorstellungen. Nur so lässt sich ein Ergebnis erzielen, das mehr ist als bereits Gedachtes oder Gesagtes, das im besten Fall erhellt und vielleicht überrascht.  Die Technik ist das Aquarell, weil es eine hohe Konzentration und sorgfältige Vorbereitung mit Schnelligkeit und Spontaneität verbindet.

Das macht den Weg frei für die ‚zufällige Entdeckung von wichtigen, nicht gesuchten Erkenntnissen durch einen theoretisch vorbereiteten Geist.‘ ***

Das Archiv der Personalbefragung

Für die Personalbefragungen wurde eine Archiv-Installation entwickelt, die die 40 Aquarelle und die dazugehörigen Aktenordner mit Namenslisten, Dienstgraden und ausgewählten Zitaten umfasst.
Durch die Präsentation in einem Archivsystem in Augenhöhe wird es den Betrachtenden möglich, sich mit den jeweiligen Haltungen zu konfrontieren. Das Herausziehen der Schuber und das Nachschlagen der zugehörigen Informationen in den hängenden Ordnern erwirkt eine Interaktion.

40 ausgewählte Erinnerungslücken, die an den Wänden hinter den Archivkästen hängen, vervollständigen die Installation. Bei diesen Blättern handelt es sich um Auszüge aus dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages****, bei denen der Protokolltext im Druckverfahren geschwärzt wurde. Ausgespart wurden nur jene Stellen, an denen die Zeugen sich nicht erinnern konnten oder wollten.

Die Auswahl der Textstellen aus der Vielzahl der möglichen Fundstellen erfolgte zum einen nach der Brisanz der zuvor durch die Ausschussmitglieder gestellten Fragen, aber auch nach jeweils besonderen sprachlichen Merkmalen im Ausdruck der Zeugen.

Stellvertreter des Personals der Inneren Sicherheit

Die ausgewählten Personen sind als Stellvertreter zu sehen. Sie stehen für den Sicherheitsapparat, wie er sich im NSU-Zusammenhang darstellt. Persönliche Merkmale sind dabei nebensächlich. Beabsichtigt ist nur das Sichtbarmachen der dienstlichen Haltungen.

Dennoch ist es interessant den Karriereweg einzelner Protagonisten nachzuverfolgen – einige wurden in den Ruhestand entlassen, oder versetzt, einige wurden befördert, andere wurden isoliert. Von Disziplinarmaßnahmen ist mir nichts bekannt.

*       Zwischen 2001 und 2006 wurden neun Menschen migrantischer Herkunft mit immer der gleichen Waffe ermordet. Im Jahr 2007 wurde ein Mordanschlag auf zwei Polizisten ausgeführt, bei dem eine Polizistin starb. Ein Nagelbomben-Attentat, als einer von drei Bombenanschlägen und mehr als ein Dutzend bewaffneter Überfälle gingen auf das gleiche Konto. Den Sicherheitsbehörden gelang es über zehn Jahre nicht die Tathintergründe aufzuklären. Auch nach einem mehrjährigen Prozess und diversen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen – alles ausgelöst durch eine Bekenner-DVD, liegt die Hintergrund-Struktur der Anschläge weiter im Dunkeln.


**     40 Portraits von ausgewählten Personen, Bereich „Innere Sicherheit“, Bundesrepublik Deutschland.
Aquarell auf Bütten, ca. 52 x 37 cm, 2012 – 2018 / Gedächtnislücken, 40 Drucke, 2018

***   Robert K. Merton und Elinor Barber: The Travels and Adventures of Serendipity: A Study in Sociological Semantics and the Sociology of Science. Princeton University Press, Princeton 2004

**** Erster Bundestags-Untersuchungsausschuss (17. Bundestag)
Grundlage für die Erinnerungslücken waren die Protokolle des stenografischen Dienstes des Deutschen Bundestags des Ersten Untersuchungsausschusses, 2012 – 2013 


https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/180528/protokolle-nsu-ausschuss

 

– Zum Hintergrund: Beitrag  arte vom 8.3.2018, „Ermittlungen in Aquarell“ –